Haushaltsrede 2016 des Fraktionsvorsitzenden Hellmut Dinkelaker

Veröffentlicht am 15.12.2015 in Gemeinderatsfraktion

Rede der SPD&IT-Fraktion zum Haushalt 2016

Wenn es stimmt, dass die Währung einer Stadt die Zahl ihrer Einwohner ist, dann kann man einen städtischen Haushalt nicht zuletzt daran einschätzen, in welcher Weise er geeignet ist, Einwohner zu halten, neue zu gewinnen und die, die da sind, gut zu bedenken mit Möglichkeiten des Arbeitens, des Wohnens, der Freizeit, der Teilhabe an Kultur und Sport und bei der Betreuung.

In Tuttlingen gehört zur „Währung“ immer auch die Wirtschaftskraft des Gewerbes, die sich in Arbeitsplätzen und der daraus erwachsenden Gewerbesteuer ausdrückt.  Stadt und Gemeinderat können hier gute Grundvoraussetzungen schaffen, was unserer Meinung nach in Tuttlingen der Fall ist, insbesondere durch die besonderen Leistungen in Sachen Hochschule und Innovations- und Forschungszentrum. Ob wir genügend Gewerbeflächen ausweisen können und ob es eine konkrete Nachfrage nach neuen Gewerbeflächen – auch außerhalb der bisherigen und neben den Baulücken und vorgehaltenen Flächen und dem Gewerbepark Tuttlingen-Neuhausen gibt, wird eine Umfrage ergeben, die die Verwaltung gerade durchführen lässt.

Wenn wir die eigentliche und kalkulierbare Währung der Stadt, die Zahl der Einwohner, halten und vergrößern wollen, tun wir gut daran, das Thema „Bezahlbares Wohnen“ mit Macht anzugehen Wir als Fraktion mahnen dies seit Jahren an, es war ein prominenter Teil unserer Wahlaussagen immer schon. Die Tuttlinger Wohnbau als überwiegend städtische Tochter hat einiges getan, um bezahlbaren Wohnraum neu zu schaffen und bisherige Wohnungen zu ertüchtigen, aber offensichtlich nicht genug und in den letzten Jahren mit dem Donaukarree und den Tuttlinger Höfen und jetzt mit dem Hotelbau eher Projekte, die höchstens indirekt mit der traditionellen Hauptaufgabe der Wohnbau zu tun haben und viel Finanzkraft und Personal binden.

Dieser Haushalt nun zeigt, dass Verwaltung und Gemeinderat gemeinsam an die Aufgabe „Bezahlbarer Wohnraum“ gehen werden.Das Wohnprojekt im Koppenland kann ein guter Anfang sein in einem geregelten Bebauungsplanverfahren  und die jetzt zum Jahresende vorgelegte Planung für etwa 1000 zusätzliche Wohnungen bis 2020 wird zum ‚zentralen Ziel‘ von Politik und Verwaltung erklärt. 

Wir begrüßen dies ausdrücklich. Es entspricht dem, was wir seit Jahren fordern und nicht erst seit es die Chance gibt, neue Bürger aus den Reihen der Bürgerkriegsflüchtlinge für die Stadt zu gewinnen.  Es soll wieder Zuschüsse für Sozialen Wohnbau geben und auch durch ausnahmsweise Absenkungen von Standards beim Wohnungsbau die Möglichkeit, günstiger zu bauen. Wir bestehen darauf, dass die Stadt jetzt überwiegend solchen günstigen Wohnungsbau befördert und waren sehr enttäuscht, dass eine Mehrheit von CDU und FWV neulich das „überwiegend“ aus der Beschlussformulierung gestrichen hat. 

Tuttlingen muss sich – nicht erst seit heute – um die Menschen mit kleinem Geldbeutel kümmern, sonst ziehen die weiter ins Umland und sind als Einwohner nicht mehr zu halten. Unter diesem Aspekt sehen wir auch die Vision „40.000 Einwohner bis 2030“ – das geht nur, wenn die Menschen, die wir gewinnen wollen, an ihrem Budget merken, dass das Paket „Wohnen/Arbeiten/Schule/Verkehr“  insgesamt in Tuttlingen günstiger ist als in den Umlandgemeinden.

Tuttlingen kann sich für 2016 viel leisten und kann es finanzieren: die Stadt kann etwa 17Mio Euro investieren bei einem Eigenfinanzierungsanteil von 74% und einer Eigenkapitalquote von 70%. Wir können uns eine 9-prozentige Steigerung des Personalhaushaltes leisten, weil wir es uns leisten müssen - vor allem für den Ausbau der Kinderbetreuung. Die Erneuerung der Gymnasien und ihre Sanierung, die neue Feuerwehr fertig bauen, bei der Hochschule weiter mitfinanzieren, einen 2,4-Mio- Euro-Anteil am Innovations- und Forschungszentrum  tragen, das Rathaus-Nebengebäude in der Waaghausstrasse sanieren, das Stadion ertüchtigen, den Cube für die Karlschule hoffentlich 2016 realisieren und wir können in den Stadtteilen notwendige Investitionen tätigen.

Und Tuttlingen will es und kann es sich leisten, die Innenstadt mit Bahnhof- und Königstraße und dem Marktplatz neu zu gestalten. Über Details muss man noch reden, aber die Entscheidung wird von uns ausdrücklich unterstützt und getragen, wir hätten auch die ursprüngliche Kostenplanung von 6,8 Mio Euro mitgetragen, weil wir nicht erkennen können, dass da irgendein übertriebener Luxus dabei war. Granitpflaster halte viele Generationen, schreiben die Fachleute, Beton-Bausteine nur 20 Jahre und sie müssen gesondert entsorgt werden. Wenn es eine nachhaltige Lösung gibt, dann mit diesem Material.   Beleuchtung, Möblierung, Wasserelemente…, hier gibt es Planungen der Fachleute, die uns einleuchten, über die man aber im Detail noch reden muss.  Die Fußgängerzone muss jetzt saniert werden, der Gemeinderat hat diesen Beschluss sogar vorgezogen im letzten Jahr; sie wird so erneuert, dass die Voraussetzung dafür geschaffen ist, dass die Innenstadt belebter und erfolgreicher wird.

In diesem Zusammenhang ein paar Sätze zum Thema Sparen:  „Wir müssen sparen, müssen Verschuldung abbauen statt in neue Schulden zu gehen, wir versündigen uns an unseren Nachkommen, denen wir diese Schuldenlast hinterlassen!“, wird die sog. „schwäbische Hausfrau“ immer wieder zitiert.

Wer wollte dem prinzipiell widersprechen? 

Aber ist nicht der Sanierungsstau (in Tuttlingen konservativ auf etwa 50 Mio € geschätzt) die eigentliche Last, die wir unseren nachfolgenden Generationen übertragen, wenn wir ihn nicht abbauen?  Investitionen in Sanierung sind in dem Sinne  Abbau von Schulden und wenn dies in unserer Zeit noch über außerordentlich günstige Kredite finanziert werden kann, dann muss man geradezu investieren und sich vielleicht auch neu verschulden.  Investitionen in Sanierung und Ertüchtigung, in Wohnungsbau, in eine funktionierende Innenstadt und auch in Straßen, an denen man wieder wohnen mag, ist das Gebot der Stunde, solange die Zinsen niedrig sind.  Der alte schwäbische Ausspruch „des duats no“ ist nicht mehr so nett, wenn er rechtfertigt, dass man an etwas Halblebigem nichts richten will und es einem egal ist, was die, die den Zustand mal erben, daran haben. 

Es gibt in unseren Haushaltsplänen dieser Jahre immer wieder einen Grund zur Sorge: das Missverhältnis zwischen Einnahmen und dem Ergebnishaushalt, das dieses Jahr wieder zwischen 1 und 2 Mio Euro beträgt. Dies habe mit den Berechnungen der Doppik zu tun, sagt der Kämmerer. Aber es hat auch damit zu tun, dass die Große Kreisstadt Tuttlingen viele Ausgaben aus dem städtischen  Haushalt tätigt für Einrichtungen, die auch von Gästen/Kunden/Besuchern genutzt werden, deren Steuern nicht in diese Tuttlinger Einrichtungen einfließen. Die Geschäftsführerin der Stadtwerke hat neulich erklärt, dass das einfache 4.50-Euro-Schwimmticket im TuWass für etwa 9 Euro verkauft werden müsste, wenn es kostendeckend wäre.

Die Gymnasien werden etwa zur Hälfte von jungen Leuten aus den umliegenden Gemeinden besucht, die Stadthalle und andere Einrichtungen werden zum Glück von vielen Gästen aus dem Umland besucht.  Tuttlingen profitiert von Besuchern von außerhalb, aber es hat auch Kosten dadurch. Bei einem Fraktionsausflug in Bamberg durften wir erfahren, dass die Stadt Bamberg Schul-Zweckverbände mit umliegenden Gemeinden geschlossen hat. Das wollen wir für Tuttlingen jetzt nicht fordern, aber dieser Aspekt hilft zur nüchternen Sicht auf die Unterdeckung.

Der Haushaltskonsolidierungsausschuss muss weiter seine Arbeit machen und alle Kosten-Bereiche durchforsten, damit man auch in diesem Sinne die Abläufe in der Stadt optimieren kann.

Es gibt auch Dinge, die uns fehlen:

Die Generation Smartphone und die Kommunalpolitik – wer sich in den Sozialen Netzwerken umsieht, wer Kontakt zu jungen Leuten hat, ist oftmals sehr überrascht über die Ahnungslosigkeit, was kommunale Abläufe und Hintergründe angeht. Die Lokalzeitung wird nicht gelesen, Fernsehnachrichten sind was für die Oldies, die Zufälligkeit von Informationssplittern über Facebook reicht vielen Menschen, um sich ausreichend informiert zu fühlen. 

Eine „Bürger-App“ für Smartphones sollten wir angehen, wo man nicht nur Fragen und Beschwerden loswerden kann und beantwortet bekommt, sondern wo man sich schnell Informationen über Strukturen und über Aktuelles beschaffen kann. 

Wir unterstützen das neue Stadt-Journal und hoffen, dass es in dieser Lücke zwischen Lokalzeitung und vielen Bürgern erfolgreich ist. Aber das überall verfügbare Smartphone ist ein Faktor, den wir auch bedenken müssen.

In einer mit Tuttlingen in mancher Hinsicht vergleichbaren Stadt – Backnang – ist dieser Tage ein Industrie-Museum eröffnet worden, die Stadt hat eine Halle gekauft und saniert und ein Förderverein und Privatleute haben ein großes ‚Magazin‘ der Backnanger Industriegeschichte geschaffen und dazu noch eine Technikwerkstatt für Kinder.  Verwaltung und Gemeinderat in Tuttlingen haben neulich solch ein Projekt für Tuttlingen bis auf weiteres auf Eis gelegt, weil es als nicht finanzierbar erscheint. Aber vielleicht gibt uns das Backnanger Modell mit Förderverein und bürgerschaftlichem Engagement doch einen Impuls, hier weiter zu arbeiten. Unsere Industriegeschichte hätte es verdient.

Wir stimmen dem Haushalt zu und bedanken uns ganz ausdrücklich bei der Verwaltung, insbesondere beim Kämmerer und seiner Frau-/Mannschaft für die gute Arbeit, bei der Verwaltung, beim Oberbürgermeister, den Beigeordneten und beim Personalrat für die  sachorientierte Zusammenarbeit, und wir bedanken uns auch ausdrücklich bei Frau Dr. Rogulic, Herrn Baur, Herrn Zielenkevic und Herrn Riess und ihren Teams, die es mit lebhaften und teilweise erstklassig fortgebildeteten Aufsichtsräten auch nicht immer leicht haben!

Hellmut Dinkelaker (Fraktionsvorsitzender), 14.12.2015